Hatun Aynur Sürücü darf niemals vergessen werden

Das Schicksal von Hatun Aynur Sürücü ist auch nach 19 Jahren nicht vergessen. Das zeigte die Gedenkveranstaltung am 7. Februar, ihrem Todestag – ermordet von ihrem eigenen Bruder, nur weil sie frei und selbstbestimmt leben wollte. Das betonten die Rednerinnen und Redner an diesem Tag am Gedenkstein an der Oberlandstraße immer wieder.

Der Bezirksbürgermeister von Tempelhof-Schöneberg, Jörn Oltman, dankte allen, die gekommen waren. „Wir stehen hier gemeinsam und geschlossen dafür ein, dass Frauen nicht mehr Gewalt angetan werden darf, dass Frauen nicht mehr umgebracht werden dürfen, nur weil sie Frauen sind. Das ist uns bleibt auch eine Aufgabe für uns Männer.“ Er verwies auf die Istanbul Konvention, die von großer Bedeutung sei, denn „sie lässt Frauen am Leben“. Ihre 81 Artikel enthalten umfassende Verpflichtungen zur Prävention und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, zum Schutz der Betroffenen und zur Bestrafung der Täter und Täterinnen. Mit der Istanbul Konvention habe man ein mächtiges Instrument, dass alle im Kampf gegen Gewalt an Frauen stärkt und Wege aufzeigt, wie dies langfristig erfolgreich gelingen kann. Der Senat hat im letzten Jahr den Landesaktionsplan zur Umsetzung der Istanbul Konvention beschlossen. Er umfasst über 130 Maßnahmen in unterschiedlichen Handlungsfeldern wie beispielsweise der Prävention, dem Schutz und der Unterstützung für Betroffene, der Strafverfolgung, aber auch zu Migration und Asyl sowie Maßnahmen zur Datenerhebung und Forschung.

Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Kai Wegener, erinnerte an die Erschütterung, mit der der Tod der jungen Mutter damals aufgenommen wurde. „Dieser Mord darf niemals vergessen werden. Hatun Aynur Sürücü darf niemals vergessen werden. Aber auch nach 19 Jahren ist dieses Thema in unserer Stadt aktuell. Noch immer gibt es Zwangsverheiratung, noch immer gibt es in unserem Land Weltbilder, die Selbstbestimmung und Gleichstellung ablehnen. Wir müssen mutiger sein, diese Debatten auch in unserer Stadt zu führen, für unsere gemeinsamen Werte einzutreten“. Gewalt gegen Frauen sei aber unabhängig von der Herkunft, betonte er, deshalb müssten alle aufmerksam sein, zuhören, um den betroffenen Frauen zu helfen.

Jörn Altmann, Cancel Kiziltepe, Kai Wegener und Martin Hikel (v.r.n.l.) am Gedenkstein für Hatun Sürücü.

„In ihrem kurzen Leben hat Hatun Aynur Sürücü sehr viel Mut bewiesen“, sagte Cancel Kiziltepe, die Senatorin für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung. „Sie löste sich aus einer ihr aufgezwungenen Ehe, übernahm als junge Mutter allein die Verantwortung für ihren Sohn und arbeitete daran, sich eine eigenständige Zukunft aufzubauen. Als sie starb, stand sie kurz vor ihrer Gesellenprüfung als Elektroinstallateurin. Ihre Ermordung war ein Femizid, die extremste Form von Gewalt gegen Frauen.“

Dieses Jahr zum ersten Mal dabei war der Bezirksbürgermeister von Neukölln, Martin Hikel. „Hatun Aynur Sürücü war ein Vorbild“, betonte er. „Sie war im Alltag ein unauffälliger Mensch, ist aber einen sehr selbstbestimmten und schwierigen Weg gegangen. Sie hat sich von alten Traditionen gelöst, um eine eigene Tradition zu begründen. Es ist ihr Vermächtnis, dass es inzwischen viele Netzwerke und Projekte gibt, die genau dafür kämpfen.“

Zu den Teilnehmenden an der Veranstaltung gehörten auch Mitglieder vom Verein HEROES®. Der Verein stellt sich gegen Unterdrückung im Namen der Ehre – also gegen Strukturen in Gesellschaft und Familie, die Menschen ein freies Leben verbieten. Junge Männer, die traditionelle Rollenbilder überwinden wollen, können sich dort austauschen. Sie gehen in Schulen und Freizeiteinrichtungen, halten Vorträge und führen Workshops durch, in denen über Themen wie Identität, Gleichberechtigung und Rechte von Frauen, Gewalt in Familien und Familienehre diskutiert wird. Auch thematisieren sie in Rollenspielen Situationen, in denen die Geschlechterrollen infrage gestellt werden. Ein solches Rollenspiel führten die jungen Männer inmitten der Teilnehmenden auf und spielten eine Situation nach, wie sie häufiger in Familien mit patriarchalen Strukturen vorkommt.

Mit einer Schweigeminute gedachten alle Teilnehmenden der jungen Frau und legten Blumen am Gedenkstein nieder.

Die Kampagne „One Billion Rising“ möchte Frauen und Männer an öffentlichen Orten zusammenbringen, um gegen Gewalt gegen Frauen und so für Respekt für alle zu tanzen.

Statistisch wird eine von drei Frauen auf der Erde im Laufe ihres Lebens geschlagen oder vergewaltigt. Dies ergibt eine Milliarde Frauen. Die New Yorker Künstlerin und Feministin Eve Ensler hatte die Bewegung „One Billion Rising“ (Eine Milliarde erhebt sich) im September 2012 initiiert. Seitdem tanzen jährlich am 14. Februar die Menschen in Berlin unter anderem vor dem Brandenburger Tor und am Alexanderplatz und fordern ein Ende der Gewalt gegen Frauen sowie Gleichstellung und Gleichberechtigung. „One Billion Rising“ 2024 findet vor dem Brandenburger Tor von 17.30 bis 18.15 Uhr statt.

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